Christina Thürmer-Rohrs Denken hat meinen intellektuellen Werdegang oder meine späteren Forschungen nicht geprägt. Werdegang und Forschung spielten sich andernorts und in anderen Zusammenhängen ab. Eher prägten uns generationale Gemeinsamkeiten: Das Bedürfnis, die Herrschaft von Nationalsozialismus, Faschismus und Stalinismus zu verstehen, und der feministische Aufbruch der 1970er Jahre.
In den 1970er Jahren lebte ich in Rom und schrieb meine Dissertation über Faschismus und künstlerische Avantgarde. Bei meinen kurzen Besuchen im Berlin der 1970er Jahre tauchte hin und wieder diese bewunderte, verehrte, gar begehrte Gestalt am Rande meines Blickfelds auf, Theoretikerin, Lesbe und Musikerin, schwarz gekleidet und geschminkt (letzteres für die damalige Lesbenszene ein Skandal), immer umgeben von einer Art Fanclub. Sie war, so mein Eindruck, eine Szene-Celebrity, wie sie damals so wohl nur in (West-)Berlin möglich schien. In der Kombination von Szene, lesbischer Rockband und Theorie schien sie aus der Sicht meiner damaligen Verortung in der römischen Frauenbewegung sehr exotisch, und das, obwohl die römische Frauenbewegung ihrerseits regelmäßig am Frauentag von westdeutschen Femo-Touristinnen (Westberlinerinnen waren besonders stark vertreten), in Verkennung der dortigen Realitäten, als exotisch und beneidenswert heimgesucht wurde.
Aber dann, Jahrzehnte später, im neuen Jahrtausend, begann ich, die Veranstaltungen des Forum Akazie 3 zu besuchen, die Christina Thürmer-Rohr zusammen mit Laura Gallati veranstaltet, und begegnete ihren Texten, die sie für diese Abende schreibt, liest und diskutiert – und ihrem Klavierspiel, um das ich sie intensiv beneide. Und da taten sich für mich trotz des sehr unterschiedlichen fachlichen Hintergrunds sehr wohl Parallelen auf.
Ich möchte diese Parallelen in dem, was unser Denken bewegt, mit drei Stichworten charakterisieren, die ich 1975 auf keinen Fall in den Mund genommen hätte: Haltung, Ethik, Skepsis – wie entsetzlich bourgeois zu marxisto-feministischen Zeiten! Aus linker Perspektive untauglich für eine analytisch fundierte Kritik, aus der Perspektive radikaler « Weiblichkeit » geradezu identitätszersetzend. Als außerparlamentarisch-linke Bewegungs-Feministin und werdende Kunsthistorikerin, die einer extrem bourgeoisen Disziplin ihre politischen Kritikansätze implantieren wollte, führte ich damals eine Art Doppelexistenz; ich saß zwischen vielen identitär widersprüchlichen Stühlen. Zugehörigkeit war in mehrfacher Hinsicht ein Problem: nicht nur als Kunsthistorikerin, die das Politische als Faktor künstlerischer Ästhetik ergründen wollte, sondern auch als « intellektuelle », ergo « männlich sozialisierte » Frau in einer Bewegung, die zu dem neigte, was Thürmer-Rohr in ihrem Essay « Die unheilbare Pluralität der Welt – von Patriarchatskritik zur Totalitarismusforschung » aus dem Jahr 1997 (!) im Rückblick als « totales/totalitäres Konstrukt » bezeichnete: die FRAU/das Weibliche. Wie mir dieser Text, den ich erst kürzlich las, aus dem Herzen spricht! Ich traf auf meine Skepsis gegenüber Konsens einfordernden Einheitsvorstellungen, ich fand eine Verknüpfung von feministischem Denken und Totalitarismuskritik, wie ich sie in den 1970er Jahren in politischem Engagement und wissenschaftlicher Forschung als getrennten Lebensbereichen praktizierte, ohne sie theoretisch verknüpfen zu können. Hier liegt auch die andere Gemeinsamkeit in unserer Denkbiographie: die Totalitarismusforschung.
Totalitarismus war, als ich 1973 anfing, über Faschismus und künstlerische Avantgarde zu forschen, für die Linke ein « dirty word » – es galt als liberal/reaktionär (war damals für die Linke oft dasselbe), als Versuch, Sozialismus und Faschismus in die selbe Kalte-Kriegs-Kiste zu schmeißen. Totalitär konnte für die Linke nur der Faschismus sein. Meinen Verdacht, dass es strukturelle Ähnlichkeiten gab, nicht nur zwischen der Sowjetunion, NS-Deutschland und dem faschistischen Italien, sondern auch mit Tendenzen in den USA, konnte ich damals kaum fundiert artikulieren. Die Idee, diese Fragen mit feministischer Patriarchatskritik zu kreuzen, kam mir nicht. Umso quälender war denn auch das konkrete Erleben dieser Unverbundenheit meiner beiden Diskursfelder und -communities. Da war etwas zutiefst Beunruhigendes in dem Gefühl, keinen theoretischen Ausweg aus der Kluft zwischen der Art finden zu können, wie das Politische in den beiden Diskursen gedacht wurde.
Es ist angesichts der Denkverbote, die in den Szenen der Linken wie der Feministinnen latent wie manifest wirksam waren, sicher müßig, aber die Frage stellt sich doch ein: Was wäre gewesen, wenn ich Mitte der 1970er Jahre Patriarchats- und Gewaltkritik im Sinne einer Totalitarismuskritik hätte zusammendenken können, wie dies Thürmer-Rohr konsequent tut, und was hätte sich daraus für meine kunsthistorische Forschung ergeben? Zumindest Eines wäre mir erspart geblieben: mein Verzweifeln an der Art und Weise, wie Kunsthistorikerinnen damals versuchten, feministische Anliegen in ihrer Disziplin zu artikulieren, indem sie Stereotypen von Weiblichkeit im Bild ausfindig machten – eine meines Erachtens sehr langweilige Beschäftigung, die zudem wie jede Stereotypenforschung Gefahr lief, diese allzu offensichtlichen bildlichen Spuren weiblichen Opfertums noch zu verfestigen. Also versuchte ich, mich dem moralischen Druck dieser feministischen « Pflicht » zu entziehen. Dasselbe galt für die Umkehrung dieses Opferprinzips: Die identitäre Selbstvergewisserung, die in der Kunstgeschichte in der Suche nach « positiven » Weiblichkeitsbildern ihren Ausdruck fand. Beidem stand ich skeptisch bis ungeduldig gegenüber; beides war für mich unproduktiv, aber meine Haltung brachte eine gewisse Isolation just in dem Moment mit sich, als nach den Jahren der Bewegung in den 1970ern auch die Kolleginnen aus der Kunstgeschichte versuchten, feministische Positionen in der wissenschaftlichen Praxis umzusetzen. Auch die Verfeinerungen der Geschlechterforschung in den letzten zwei Jahrzehnten haben diese Denkstrukturen oft nur überdeckt; als latentes Begehren sind sie nach wie vor präsent.Eleganz des Denkens
Thürmer-Rohrs unermüdliches Denken und Schreiben gegen dieses Begehren nach Zugehörigkeit, Ganzheit, Einheit mit ihrer Verknüpfung von feministischer und Totalitarismuskritik unter dem Dach einer Gewaltkritik fügt also zusammen, was ich lange nicht zusammendenken konnte. Ansätze gab es in der Kunstgeschichte dann zu einer Zeit, als im Wissenschaftsbetrieb aus Feminismus Geschlechterforschung geworden war und ich selbst an der Universität landete. Die Filmwissenschaft sowie die Fototheorie hatten Konzepte der strukturellen Gewalt in die Analyse der Bildmedien übertragen, die nun auch in die kunsthistorische Geschlechterforschung Eingang fanden und das verkappte Opferdenken der Stereotypenforschung poststrukturalistisch veränderten. Auch Michel Foucaults Umdenken des Machtbegriffs half. Und hier beginnt nun meine Skepsis gegenüber meiner begeisterten Zustimmung zu Christinas Arendt-Lektüre: Gerade die Ethik, die Haltung, die ich dort fand und die ich mit dem belegte, was Teresa de Lauretis einmal so formulierte: « Theory is passionate fiction ». Geht sie nicht konträr zu den Einschränkungen subjektiver Handlungsfähigkeit, wie sie in der poststrukturalistischen Subjektkritik formuliert wurde? Als Verantwortungsethik ist sie mit Arendt messerscharf gedacht und für Empfängliche wie mich begeisternd, aber wie ist es zu schaffen, dass sie nicht Appell bleibt?
Über all dem habe ich etwas nicht erwähnt, was ich wichtig finde: Christina Thürmer-Rohrs Texte sind wunderbar geschrieben – in ihnen offenbart sich eine Eleganz des Denkens, die zeigt, das auch die Ästhetik eine kritische Triebkraft sein kann. Denkerin, Schreiberin, Musikerin und Freundin